Wandel und Auflösung der Niederweiser Stockgüter
Hinweis: Der nachfolgende Inhalt stammt von Albert Endres aus dem Hause Gedisch (*1932 in Niederweis – †2020), Informatiker und Hochschullehrer. Albert Endres ist der Bruder von Otto Endres. Der Artikel ist ein Zeugnis seiner Zeit und wurde weder verändert, noch an aktuelle Begebenheiten angepasst.
Einleitung
Ein Stockgut oder Schafftgut war früher ein Lehensgut, das im Erbfalle ungeteilt an den erstgeborenen Sohn oder die erstgeborene Tochter überging. Nach dieser Definition gab es in Niederweis früher neun Stockgüter. Ihre Entstehung und lange Geschichte hatte ich 1998 ausführlich beschrieben. Die damals betrachteten Güter wurden während der Feudalzeit als Vogteien bezeichnet. Sie gehörten als Eigentum dem lokalen Adel und wurden den Leibeignen als Lehensgüter zur Bewirtschaftung übergeben. Obwohl die Leibeigenschaft schon 1791 abgeschafft worden war, verblieben die Niederweiser Höfe zunächst im Abhängigkeitsverhältnis von ihrer Lehensherrschaft, d.h. sie zahlten den Zehnten entweder an ihre adeligen Herrschaften oder eines der beiden Echternacher Klöster (St. Willibrord, Santa Clara). Im Jahre 1794 beschlagnahmten die französischen Revolutionstruppen das Klostergut und den Adelsbesitz und erklärten die jeweiligen Inhaber der Lehensgüter zu deren Eigentümern.
Ortslage früher und heute
Die bekannteste historische Darstellung der Ortslage stammt von dem Kartografen Johann Josef Franz Graf Ferraris (1726-1814), dessen Kartenwerk der Österreichischen Niederlande von 1777 heute im Internet zugreifbar ist. Niederweis befindet sich auf Blatt 255 Bollendorf.
Abb. 1: Ferraris-Karte von Niederweis mit Vogteien
Abb. 1 zeigt die neun Höfe im Dorf. Bei den nicht gekennzeichneten Gebäuden handelt es sich um die Kirche, das Schloss, das Botenhaus sowie um Häuser von Nicht-Bauern (Schafhirt, Müller, Schmied). Seit diese Karte entstand, wurden sowohl die Dorfkirche (1842) wie alle Bauernhäuser neugebaut. Die Kirche hat eine neue Ausrichtung erhalten. In der heutigen Darstellung in Abb. 2. fällt vor allem auf, dass sich bei allen Höfen die überbaute Fläche erheblich vergrößert hat. Im Wesentlichen er- folgte dies in der Zeit nach 1945, als mit der zunehmenden Mechanisierung der Landwirtschaft zuerst der Bedarf an Schuppen für Geräte und Maschinen anwuchs. Später kamen zusätzliche Ställe für Milchvieh und Schweine hinzu.
Schrudden, früher Maasch, Höhjunker Str. 14 (Nr. 1)
Im Maasch-Hof (für Meierisch) wohnte früher der Meier des Hofguts Niederweis, der gleichzeitig Zender, also genossenschaftlich gewählter Vertreter der Bauern war. Nach dem Tode von Nikolaus Zender im Jahre 1788, dem letzten Hochgerichtsmeier der Herrschaft Niederweis, verfiel das Haus. Es kam an Matthias Schroth (1793- 1836) aus Oberecken, der 1822 eine Margarethe Zender (1792-1877) aus Thelen heiratete. Dadurch entstand der heutige Hausname Schrudden. Matthias Schroth betrieb einen Krämerladen und eine Gastwirtschaft. Er war etwas locker im Geldaus- geben und bekam von seinem Schwiegervater jeden Sonntag sein Taschengeld. Nach seinem plötzlichen Tode erbte Margarethes jüngste Schwester Katharina den Hof und heiratete 1837 Johann Leisen aus Irrel. Er war gelernter Schmied.
Zu der Hochzeit seines Enkels Nikolaus Leisen mit Eva Moos aus Niederweiler im Jahre 1952 war ich als Vertreter des Nachbarhauses abgeordnet. Der Hof verfügte immer über eine Herde von Schwarzbuntkühen. Heute ist der Hof im Besitz von Johann Leisen, Nikolaus‘ ältestem Sohn. Er ist mit einer Frau aus Niederweis (Doris Spohrer aus Schneddisch) verheiratet, hat aber keine Kinder. Mehrere Jahre lang wurde der Hof in Zusammenarbeit mit Thomas Endres, meinem Neffen, von Meckel aus betrieben. Diese Zusammenarbeit wurde 2001 beendet. Johann Leisen hat den landwirtschaftlichen Betrieb eingestellt und das gesamte Land und die Milchquote verkauft bzw. verpachtet.
Thelen, früher Hüweler, Hauptstr. 28 (Nr. 2)
Durch die Einführung der Realteilung in der Franzosenzeit war Nikolaus Hüweler nicht in der Lage, den verschuldeten, halbfertigen Neubau des Gebäudes zu vervoll- ständigen. Er tauschte deshalb das Gebäude 1806 mit Anton Zender aus dem (alten) Thelenhaus. Sie übernahmen über 20 Jahre lang die Verwaltung des wegen der Flucht des Barons leerstehenden Schlosses und seiner Ländereien und wollten in der Nähe sein. Die Zenders nahmen den Hausnamen Thelen mit ins Hüweler-Haus.
Sehr gut erinnere ich mich an zwei alte Männer, die während meiner Jugendzeit alleine im Hause wohnten: Matthias, ein unverheirateter Onkel (1862-1946) und Peter, der Vater (1872-1945). Die Mutter war bereits verstorben. Alle Söhne wohnten außerhalb oder waren beim Militär. Mein Vater benutzte manchmal die zu diesem Hofe gehörende Schnapsbrennerei. Wir Kinder gingen gerne unsern Vater bei dieser Arbeit besuchen. Der Onkel Mattes hatte nämlich immer einen guten Apfel für uns Kin- der, meist eine Goldrenette oder einen Kaiser-Wilhelm-Apfel. Diese Generation der Zender-Familie hatte sich sehr bemüht, den Obstanbau im ganzen Dorfe populär zu machen. Der Thelen-Bauer lieferte Winter-Ramburs bevorzugt auf den Kölner Weihnachtsmarkt.
Der älteste Sohn Matthias (1907-1993), war Volkskundler an der Universität Bonn4. Das Buch, in dem er die von ihm gesammelten Sagen und Erzählungen aus der ganzen Eifel veröffentlicht hatte, war eines der am meist geschätzten Bücher in unse- rem Hause. Da ich selbst in Bonn studierte, lernte ich ihn und seine Familie sehr gut kennen. Seine Frau war eine geborene Klara Neyses aus Masholder, eine der etwa 50 Cousins bzw. Cousinen meiner Mutter. Sie hatte Mathematik studiert und war Gymnasiallehrerin, bevor sie heiratete. Thelen Mattes, wie er im Dorfe genannt wurde, hat mir bei meinen heimatkundlichen Arbeiten sehr viel geholfen.
Nikolaus (1909-1994), ein jüngerer Bruder von Matthias Zender, heiratete 1954 Anna Thures aus dem Enisch-Haus. Sie war 14 Jahre jünger als ihr Mann. Ihr Sohn Matthias hat ein Einfamilienhaus am Ortsausgang (Im Sudelt) gebaut. Er bearbeitet den Thelen-Betrieb von dort aus. Außer der Schnapsbrennerei betreibt er nur Ackerbau. Milchvieh wurde abgeschafft. Eine Damwildherde sorgt für Fleisch. Seine Schwester Monika ist Realschullehrerin und unverheiratet und lebt mit ihrer Mutter im Thelenhaus.
Thies, früher Thelen, Hauptstr. 14 (Nr. 3)
Im Jahre 1791 heiratete Anton Zender aus Wolsfeld, dessen Großvater aus dem Maasch-Haus stammte, eine Katharina Thielen aus dem (alten) Thelen-Haus. Er hatte als Knecht in Niederweis gedient. Er tauschte, wie bereits erwähnt, sein Haus mit Nikolaus Hüweler. Wie von Werner Weber5 ausgeführt, kaufte Nikolaus Hüweler um 1808 das Kurfürstenhaus in Eisenach. Da er früh starb, verarmte die Familie.
Das Thelen-Haus wurde von der Familie Thies gekauft, einer Familie, die schon länger im Dorf ansässig war, und zwar zuletzt im Backhaus des Maasch-Hauses. Der alte Thies, wie er im Dorfe hieß, war sehr geschickt und half bei den Bauern aus. Seine Kinder waren sehr aktiv in der Dorfgemeinschaft. Peter, sein ältester Sohn, baute schräg gegenüber von dem alten Haus – im früheren Hausgarten gelegen – ein alleinstehendes modernes Wohnhaus. Während der Nazizeit war er Ortsgruppenleiter der NSDAP. Da die Bauern im Dorf fast ausnahmslos Anhänger der Zentrumspartei waren, hatte Thies Pitter, wie er hieß, keinen leichten Stand. Dummerweise hatte er eine Schwäche. Er trank gerne ein Glas mehr als er vertrug. Die Bauern, die genügend Viez und Schnaps im Keller hatten, nutzten dies manchmal aus.
Pitts Bruder Alois hatte eine Lehre als Schreiner absolviert. Als er vom Militär entlassen wurde, wohnte er zunächst mit Familie im Altbau, bis er sich ein eigenes Haus 100 Meter entfernt baute. Peter Thies hatte zwei Kinder, Alfred und Klothilde. Alfred war dreiviertel Jahr älter als ich und wir waren befreundet. Er arbeitete im Tiefbau im Sommer und im Wald im Winter. Nach einem Unfall durch einen einstürzenden Graben, nahm er die Stelle des Steuereintreibers für die Verbandsgemeinde Irrel ein. Er hatte im Altbau ein kleines ‚Museum‘ eingerichtet. Hier sind alte Möbel und Gerätschaften ausgestellt, die mein Freund gesammelt hatte. Heute lebt seine Witwe mit einem erwachsenen Sohn im Neubau.
Enisch, Hauptstr. 1 (Nr. 4)
Der Name des Enisch-Hauses geht eindeutig auf den Familiennamen Endres zurück. Endres ist die oberdeutsche Form des Vornamens Andreas. Zuletzt heiratete Maria Anna Endres einen Anton Thures (aus Thuresen). Dieses Paar hatte 10 Kinder. Eva, die älteste Tochter, war 1914 geboren, Peter, der älteste Sohn, war zwei Jahre jünger. Ein Sohn, Matthias, war als Soldat im 2. Weltkrieg gefallen. Zwei Söhne, Josef und Johann, waren nach außerhalb des Dorfes verheiratet, eine Tochter, Anna, im Dorf (ins Thelen-Haus). Die jüngste Tochter Cäcilia wurde Ordensschwester. Außer Peter blieben drei unverheiratete Schwestern (Eva, Maria, Magdalena) und ein unverheirateter Bruder (Rudolf) im Haus. Da Peter und Rudolf früher starben als zwei ihrer Schwestern, war das Haus jahrelang nur von zwei alten Frauen bewohnt.
Peter war von Aussehen und Figur her ein Hüne. Sehr gut erinnere ich mich noch, wie er um 1943 in Uniform einen Heimaturlaub im Dorf verbrachte. Er war in Russland im Einsatz. Die Dorfjugend – ich war etwa 10 Jahre alt – lauschte aufmerksam seinen Erzählungen über seine Kriegserlebnisse. Eine Episode hatte sich mir besonders eingeprägt. Ich gebe sie in der Version wieder, wie sie Werner Heyen, mein Alterskollege, in Erinnerung hat. Peters Trupp lag versteckt oberhalb eines Hohlweges, als dort eine russische Panzerkolonne hindurch zog. Als der letzte Panzer das Versteck passiert hatte, soll Wilhelm Hettinger (Peters Freund aus Wolsfeld) auf den Panzer gesprungen sein und eine gezündete Handgranate durch die Panzerluke geworfen haben. Peters Einheit setzte sich sofort ab und verließ unversehrt den Ort des Geschehens.
Der Enisch-Hof besaß sehr viele Wiesen neben und hinter dem Gebäude. Dort weidete immer eine Herde rotbunter Kühe und Rinder. Durch die Lage unmittelbar am Nußbach bedingt, war der Hof bei Hochwasser oft in Gefahr. Dass geschah alle paar Jahre nach der Schneeschmelze, während im Sommer der in Meckel entspringende Bach kaum Wasser führte. An eine sehr dramatische Situation kann ich mich erinnern. Das ganze Dorf war in heller Aufregung. Unter der Straßenbrücke, welche die B257 über den Bach führt, hatten sich Geröll und Äste verhakt, Darauf stieg der Bach bedrohlich an und verwandelte den ganzen Hof in einen einzigen See – sehr zur Freude von uns Kindern. Alle Ställe standen bis zu einem Meter unter Wasser, so dass das Vieh herausgeräumt und zu andern Bauern gebracht werden musste.
Da – wie berichtet — Anna Thures ins Thelenhaus verheiratet ist, wurde der Enisch-Hof nach Peters Tod von der Familie Zender mit bewirtschaftet. Das Haus stand längere Zeit leer und wurde inzwischen zum Verkauf angeboten.
Gedisch, Hauptstr. 22 (Nr. 5)
Das jetzige Gedisch-Haus wurde 1766 von Johann Neu, im Dorf als Johann aus dem Gödert-Haus bekannt, gebaut. Es ist das älteste der zu den Stockhäusern zu rechnenden Bauernhäuser im Dorf. Der jetzige Familienname kam ins Haus, als 1848 ein Thomas Endres aus dem Enisch-Haus einheiratete. Als Folge der Realteilung verlor das Stammhaus ziemlich viel Grund- und Waldbesitz. Anhand der im Hause noch vorhandenen Prozessakten habe ich die über Jahrzehnte sich hinziehenden Rechtsstreitigkeiten6 innerhalb der Familie beschrieben.
Mein Vater, der mit der Geschichte unseres Hauses und Hofes bestens vertraut war, verwies immer auf die Realteilung als die Ursache allen Übels. Selbst seine Generation litt noch darunter. So wurden nach dem Tode seines Vaters im Jahre 1930 nicht nur die Felder des Hofes, sondern auch die Zimmer des Hauses durch notariellen Akt zwischen den Geschwistern aufgeteilt. Außer einem älteren Bruder, dem Onkel Philipp, lebten noch zwei unverheiratete Schwestern meines Vaters in unserem Hause, die Tanten Elisabeth (Lies genannt) und Magdalena (Ling genannt). Wenn immer es nötig war, dass unsere Mutter als eingeheiratete Frau gegenüber den alteingesessenen Frauen in Schutz genommen werden musste, war dies Sache meines Onkels. Als ältestes der Geschwister konnte er sich besser durchsetzen als mein Vater, der das jüngste der Geschwister war.
Meine Mutter, Regina Minden aus Mötsch, war eine Cousine von Anna Neyses aus Meckel, die in Thuresen eingeheiratete hatte. Meine Mutter sprach lebenslang einige Worte in Mötscher und nicht im Niederweiser Dialekt aus, was uns Kindern sehr auffiel. Mein Vater konnte eventuelle Bedenken, mich studieren zu lassen, umso leichter überwinden, als mein jüngerer Bruder Otto sich sehr früh bereit erklärte, den Hof weiterzuführen. Meine drei Schwestern, Gertrud, Magdalena und Ilse, sind zwischen 1931 und 1940 geboren. Sie haben jede einen Beruf erlernt und sind nach außerhalb verheiratet. Mein Vater wollte nicht, dass sie auf dem Hof blieben.
Maria Theisen, die Frau meines Bruders, stammt aus dem vier Kilometer entfernten Ort Meckel. Ihr Sohn Thomas wohnt mit seiner Familie im Geburtshaus seiner Mutter und bewirtschaftet heute von dort aus beide Betriebe7. Es ist eine Kombination von
Getreideanbau, Milchviehzucht und Biogasgewinnung. Der älteste Sohn meines Bruders, Hans-Peter, hat in Aachen Elektrotechnik studiert. Er arbeitet in einem Industriebetrieb in der Nähe der Stadt Luxemburg. Er und seine Frau haben den früheren Schweinestall abgerissen und – direkt an den Altbau angelehnt – eine moderne Wohnung gebaut. Das Ehepaar hat fünf Kinder. Vier von ihnen sind in der Berufsausbildung bzw. bereits im Beruf tätig. Keines hat einen Beruf in der Landwirtschaft ergriffen.
Hous, Nimsweg 2 (Nr. 6)
Der Name dieses Hauses taucht zuerst im Jahrgeding von 1638 auf mit einer Frau, Hauß Anna genannt. Bereits in der nachfolgenden Generation tritt der Familienname Krippes in den Kirchenbüchern auf. Danach folgt der Familienname Hoffmann (aus Steinheim an der Sauer). Der Familienname Hinkes stammt aus dem Gedisch-Haus. Mehrere männliche Träger des Namens Hinkes sind nach 1860 nach Amerika ausgewandert. Ihre Nachfahren nahmen unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs Kontakt auf.
In meiner Jugendzeit gab es auf dem Hof fünf Kinder: Susanne, Karl, Hedwig, Jakob und Katharina, geboren zwischen 1928 und 1937. Der älteste Sohn, Karl (1930- 2002), übernahm den Hof. Er heiratete Gundula Polzin (1941-1999), die als Flüchtlingskind, im Alter von fünf Jahren aus Pommern kommend, in Niederweis ihre zweite Heimat gefunden hatte. Hedwig ist ebenfalls im Dorf geblieben. Sie hat Michael Thiex geheiratet, von Beruf Kraftfahrer.
Karl und Gundula hatten fünf Kinder: Helga, Alfred, Joachim, Margret und Michael. Joachim hat den Hof übernommen und ist inzwischen verheiratet. Der Hof besitzt nur noch Weiden und spezialisierte sich auf Ammenkühe.
Lenzen, Höhjunker Str. 16 (Nr. 7)
Der Hausname geht vermutlich auf Peter Lenzen zurück, der 1738 Schöffe des Jahrgedings war. Der älteste, sicher belegte Name im Hause, ist Kascht. Susanne Kascht heiratete 1833 Christian Wolsfeld aus Eisenach. Über diese Ehe ist der Ehevertrag8 erhalten, über den ich berichtet habe. Ihr Sohn Wilhelm Wolsfeld9 wanderte nach Amerika aus und trat dort dem Orden der Redemptoristen bei.
Nach einem Matthias Zeimetz aus Mambach (Luxemburg) kam der Hof durch Heirat an Johann Disch aus Oberstedem. Dessen Sohn Matthias übernahm danach den Hof. Dieser verstarb 1947 infolge eines Verkehrsunfalls. Während meiner Jugendzeit galt dessen unverheirateter Bruder Christian als ein sehr unternehmenslustiger Mensch. Es gab keinen Ulk im Dorf, an dem er nicht beteiligt war. Mit Respekt schauten wir Kinder zu ihm auf, wenn er den Dorfbullen an einem Stock führte, wenn wir unsere Kühe decken ließen. Richard, der älteste Sohn, heiratete nach Messerich. Sein Bruder Medard blieb unverheiratet im Hause. Ihre Schwester Susanne erbte den Betrieb und heiratete Theodor Kisgen aus Matzen. Ihr Sohn Kurt lebt heute mit seiner Frau allein im Hause. Er hat das gesamte zum Hofe gehörende Land verpachtet. Kurts Kinder arbeiten alle nicht im Betrieb, sondern außerhalb.
Schmitz, früher Schentges, Höhjunker Str. 13 (Nr. 8)
Die Familie Hentges (oder Schentges) wanderte 1847 nach Amerika aus und ver- kaufte das Haus an Philipp Endres aus Enisch. Das Haus bekam vorübergehend den Namen Fleppesen. Philipp Endres war verheiratet mit Elisabeth Schmitz aus Stockigt (bei Nusbaum). Da dieses Ehepaar keine Kinder hatte, holte man einen Neffen der Ehefrau, Matthias Schmitz aus Stockigt, als Beisatz ins Haus. Dieser heiratete Magdalena Endres aus Gedisch. Ihre älteste Tochter Eva (1889-1966) erbte den Hof. Ihr Bruder Thomas10 war Theologe und zuletzt Dechant in Ralingen. Ein zweiter Bruder war beim Orden der Weißen Väter11 in Afrika.
Eva heiratete Nikolaus Dimmer aus Birtlingen. Sie hatten vier Kinder: Alfons, Josef, Rudolf und Maria, geboren zwischen 1915 und 1927. Josef fiel als Soldat 1943 an der Front. Rudolf starb unverheiratet im Jahre 1979. Maria hatte zuletzt den Haushalt ihres Onkels, des Dechanten, geführt und lebt heute allein in einem Nachbarhaus. Alfons (1915-2006) blieb im Haus und heiratete Dorothea Schröder aus Mötsch. Das Paar hatte drei Söhne: Klaus, Johannes und Werner, geboren zwischen 1956 und 1960. Klaus ist als Jurist bei einer Versicherungsgesellschaft in Nürnberg tätig. Werner hat in einen Bauernhof in Niederweiler eingeheiratet. Es ist dasselbe Haus, aus dem Eva und Maria Moos stammen, heute in Schrudden bzw. Thuresen. Johannes übernahm den Hof in Niederweis und führte ihn weiter. Johannes ist unverheiratet und bearbeitet inzwischen kein Land mehr.
Thuresen, früher Gehans, Höhjunker Str. 12 (Nr. 9)
In das Haus, das ursprünglich Gehans hieß, heiratete ein Thuresen aus Godendorf ein, danach ein Heyen aus Kaschenbach. Wie bereits erwähnt, war Anna Heyen eine Cousine meiner Mutter. Ihr Mann, Nikolaus Heyen, wurde 1945 beim Einzug der Amerikaner zum Ortsbürgermeister ernannt. Er wurde später in das Amt wiedergewählt und zwar mehrmals bis 1969. Sein unverheirateter Bruder Johann (Hanni genannt) war Dirigent des Kirchenchores. Ein zweiter Bruder, Matthias (Mätti genannt), war der zweite Mann meiner Tante aus Eisenach, der Schwester meiner Mutter. Nikolaus und Anna Heyen hatten sechs Kinder: Gertrud, Thekla, Werner, Helmut, Maria und Alfons. Gertrud und Thekla wurden Ordensschwestern. Werner erbte den Hof. Er heirate Maria Moos aus Niederweiler, die Schwester von Eva Moos in Schrudden.
Werner und Maria haben fünf Töchter: Rita, Valeria, Cornelia, Jutta und Mechthild, zwischen 1961 und 1966 geboren. Bei meinem letzten Besuch fragte ich Werner, warum keine seiner fünf Töchter einen Bauern geheiratet habe, der den Betrieb weiterführte. Zu meinem Erstaunen gab er mir eine überraschend offene Antwort. Es habe weder an ihm, noch an seinen Töchtern gelegen. Seine Tochter Valeria hätte liebend gerne den elterlichen Betrieb übernommen, hätte sie einen Mann gefunden, der bereit war, mit ihr den Betrieb zu führen. Es gäbe jede Menge Bauernsöhne, die einen Betrieb haben und eine Frau suchen. Bauernsöhne, die bereit sind, in einen fremden Betrieb einzuheiraten, seien jedoch Mangelware.
Nachdem er den Betrieb kennengelernt habe, in den seine Tochter schließlich einheiratete, habe er ihr Recht gegeben. Folgende Gründe sprachen zugunsten des andern Betriebs: (a) Er ist ein reiner Viehzuchtbetrieb. (b) Er ist arrondiert, d.h. das gesamte Land liegt um das Gebäude. Eine jüngst durchgeführte Flurbereinigung hat optimale Verhältnisse geschaffen. (c) Alle Ställe sind auf dem modernsten Stand der Technik. Schließlich kannte sie den zukünftigen Ehemann seit der gemeinsamen Zeit auf der Bitburger Landwirtschaftsschule. Werners vier andere Töchter haben Berufe ergriffen, die sie nicht weit von zuhause und von der Landwirtschaft wegführten. Werner hat sein ganzes Land an den Betrieb von Fritz Wirtz verpachtet. Fritz ist mit Werners jüngster Schwester Maria verheiratet.
Familienbeziehungen und Wachstumspotenziale
Wie in jedem ähnlich alten Bauerdorf bestanden auch in Niederweis vielfältige verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Familien. In Abb. 12 sind unter dem Hausnamen die Familiennamen aufgeführt, die in den letzten zwei Jahrhunderten in dem betreffenden Hause vorkamen. Die Verbindungslinien zeigen die Verschwägerung der Familien im Verlaufe der Zeit, d.h. die Einheirat männlicher und weiblicher Personen aus einem Stockhaus in ein anderes, oder die Einheirat von nahen Verwandten (Schwägern oder Enkeln) von außerhalb. Acht von den neun Stockhäusern hatten nahe Verwandte in einem der anderen Häuser.
Für die landwirtschaftlichen Betriebe nicht nur in der Eifel hieß es in den letzten Jahrzehnten, wachsen oder untergehen. Die vielfältigen Familienverbünde wären an sich für Betriebskonsolidierungen förderlich gewesen wie das Beispiel Enisch-Thelen zeigt. Wegen der engen Tallage konnten die im Dorfe gebliebenen Stockgüter ihre Hofgebäude jedoch nicht expandieren. Der einzige vorhandene Großbetrieb, der an sich gute Startbedingungen hatte, war das von einer Stiftung verpachtete Schloss. Der langjährige Pachtvertrag wurde jedoch beendet12 und das Gebäude einer nicht-landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt. Gute Voraussetzungen für eine Expansion bestehen auf Grund ihrer Lage bei dem ebenfalls nicht aufgeführten, später entstandenen Hof Lieser (Fritz Wirtz) oder dem Aussiedlerhof Nosbisch.
Durch die beim Militär verbrachten Kriegsjahre kam es in einigen Fällen (Schmitz, Schrudden, Thelen) zu sehr späten Heiraten. Mal beeinträchtigte der Mangel an Kindern die Fortführung des Betriebs, mal war eine hohe Zahl unverheirateter Geschwister schuld. Mal hatten Kinder einfach nur andere Interessen als ihre Eltern. Wie heißt es doch bei Dostojewski: Für den Abstieg und Untergang von Familien finden sich meistens mehrere Gründe.
Zusammenfassung und Ausblick
Die hier dargestellte Entwicklung einer Dorfgemeinschaft ist kein Sonderfall. Ähnliche Entwicklungen gibt es in vielen ländlichen Gemeinden. Selbst städtische Wohnviertel zeigen deutliche Spuren eines altersmäßigen Wandels. Wie Tab. 1 zeigt, ist die Veränderung der Bevölkerungs- und der Betriebsstrukturen sehr dramatisch. Nicht nur ist die Kinderzahl rückläufig, auch die Altersstruktur ist besorgniserregend. Der Dorfkern verödet. Die Mehrzahl der Dorfeinwohner hat sich auf Neubauten am Dorfrand hin verzogen. Wo in meiner Jugend durchschnittlich 8-10 Personen lebten, trifft man heute nur noch einzelne alte Leute. In manchen großen Bauernhäusern leben nur noch ein oder zwei Greise. Wie aus Tab. 1 ersichtlich, gab es früher auch sehr viele Senioren in den Bauernhäusern, nur waren sie nicht allein gelassen.
Ich habe mich hier bewusst auf die alten Stockhäuser im Dorf beschränkt. Gezeigt ist damit nur ein Teilausschnitt der Dorfgeschichte. Das Schicksal der nach 1815 neu entstandenen Höfe und Häuser ist nicht weniger interessant und aufschlussreich. Eine Besonderheit der Eifeldörfer ist, dass die Neubürger, die am Dorfrand bauten, meist Luxemburger sind. Sie schicken ihre Kinder nach Echternach zur Schule. Sie treffen Dorfbewohner nur dann, wenn sie ihre Hunde ausführen. Am Dorfleben nehmen sie nicht teil.
Danksagung: Ich danke mehreren Niederweisern aus meiner Altersgruppe, vor allem Maria Dimmer, Anna Zender, Werner Heyen und Otto Endres, für wertvolle Hinweise sowie für eine kritische Überprüfung dieses Textes. Für eventuelle Fehler trage ich die Verantwortung. NB: Alle zitierten Veröffentlichungen sind in den beiden Sammelbänden ‚Geschichten aus der Eifelheimat‘ Band 1 und 2, 2008, 2012 nachgedruckt worden.
Referenzen und Anmerkungen
i Endres, A.: Zur Geschichte der Niederweiser Stockhäuser – ein Zwischenbericht. Gester an Hätt, Heimatkundliche Zeitschrift der Verbandsgemeinde Irrel, Teil I: Heft 22 (1998), 13-20; Teil II: Heft 23 (1999), 8-11
2 Als historisches Kartenwerk herausgegeben vom Nationalen Geografischen Institut Belgiens. Erlaubnis zur Verwendung erteilt unter der Nummer A3094.
3 Ich danke Lothar Monshausen, der diese Skizze anhand einer aktuellen Flurkarte erstellte.
4 Endres, A: Rettete Erzählgut der Eifel vor Vergessenwerden: Zum Lebenswerk von Dr. Matthias Zender. Gester an Hätt, Heimatkundliche Zeitschrift der Verbandsgemeinde Irrel, Heft 13 (1994); Kurzfassung im Heimatkalender 1995 des Landkreises Bitburg-Prüm, 18-19
5 Weber, W.: Der Kürfürstliche Hof in Eisenach. In: Endres, A.: Geschichten aus der Eifelheimat, Band 2. 2012, 221-227
6 Endres, A.: Als eine Eifler Bauernfamilie gegen die Realteilung ankämpfte – und verlor. Beiträge zur Geschichte des Bitburger Landes, Heft 1/2011 (Nr. 82), 32-40
7 Endres, A.: Vom Nährstand zur Landschaftspflege: Drei Bauerngenerationen im Bitburger Gutland. Beiträge zur Geschichte des Bitburger Landes, Heft 1/2-2006 Nr. 62/63 (2006), 51-61
8 Endres, A.: Eifler Bauernheirat juristisch gesehen am Beispiel eines Ehevertrags von 1833. Heimatkalender 2009 des Eifelkreises Bitburg-Prüm, 163-169
9 Endres, A.: Wilhelm Wolsfelds Weg vom Eifeldorf nach Baltimore und Manhattan. Beiträge zur Geschichte des Bitburger Landes, Heft 2/2008 (Nr. 71), 43-49
10 Endres, A.: Zehn Persönlichkeiten aus fünf Jahrhunderten Niederweiser Geschichte. Beiträge zur Geschichte des Bitburger Landes, Heft 3/2006 Nr. 64 (2006), 11-21
11 Endres, A.: Zwei Eifler Ordensbrüder und ihre Leben für Afrika. Heimatkalender des Landkreises Bitburg-Prüm 2005, 202-207
12 Endres, A.: Dorf und Schloss Niederweis gestern und heute. In: Endres, A.: Geschichten aus der Eifelheimat, Band 2. 2012, 37-46